BFSG: Erst die Pflicht, dann die Kür – Ihr Leitfaden für 2025
Seit dem 28. Juni 2025 ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. In den letzten Wochen und Monaten hat das Thema für viel Aufsehen und Unsicherheit gesorgt, insbesondere bei Solo-Selbstständigen und Inhaberinnen und Inhabern von Kleinstunternehmen. Viele haben dabei einen entscheidenden Satz gehört: „Es gibt Ausnahmen für Kleinstunternehmen.“ Und das stimmt. Doch was bedeutet diese Ausnahme wirklich?
Die weitverbreitete Annahme, man müsse als kleines Unternehmen gar nichts tun, ist ein gefährlicher Irrtum. Es gibt eine absolute Mindestanforderung, die für fast jeden gilt und deren Fehlen das größte und einfachste Einfallstor für Abmahnungen darstellt. Dieser Beitrag ist Ihr pragmatischer Leitfaden. Wir zeigen Ihnen, wie Sie zuerst die Pflicht erfüllen, um sich abzusichern, und sich danach der Kür widmen können, um neue Potenziale zu erschließen.
Thomas, der informierte Zauderer
Thomas betreibt einen erfolgreichen Online-Shop für Spezialitätenkaffee. Er hat weniger als 10 Mitarbeitende und sein Umsatz liegt unter 2 Millionen Euro. Er hat vom BFSG gehört und weiß, dass er unter die Ausnahmeregelung fällt. Daher hat er das Thema bisher aufgeschoben, um sich auf sein Kerngeschäft zu konzentrieren. Er ist sich der akuten, aber leicht zu schließenden Lücke in seinem Web-Auftritt nicht bewusst.
Die Ausnahme-Falle: Warum Sie trotzdem handeln müssen
Die Ausnahmeregelung des BFSG besagt, dass Kleinstunternehmen von der Pflicht zur vollständigen barrierefreien Gestaltung ihrer digitalen Angebote befreit sind. Das klingt erst einmal beruhigend.
Aber – und das ist das entscheidende Detail – Sie sind nicht von der Pflicht befreit, eine sogenannte „Erklärung zur Barrierefreiheit“ auf Ihrer Website zu veröffentlichen.
Stellen Sie sich diese Erklärung wie den Verbandskasten im Auto vor. Man hofft, ihn nie zu brauchen, aber bei einer Kontrolle muss er da sein. Fehlt er, ist das der einfachste und schnellste Weg zu einem Bußgeld. Genauso verhält es sich mit der Erklärung zur Barrierefreiheit: Ihr Fehlen ist für Abmahnanwälte mithilfe von KI-Tools trivial einfach und massenhaft zu identifizieren.
Schritt 1: Die Pflicht – Ihr „Abmahn-Schutzwall“
Das Wichtigste zuerst: Sichern Sie Ihre rechtliche Flanke. Das Erstellen und Veröffentlichen der Erklärung zur Barrierefreiheit ist der eine Schritt, der Sie vor 90 % des unmittelbaren Risikos schützt.
Was muss in dieser Erklärung stehen?
Wenn Sie sich als Kleinstunternehmen auf die Ausnahme nach § 3 Abs. 3 BFSG berufen, ist der Inhalt überschaubar. Sie müssen im Wesentlichen erklären, dass Ihre Website oder Ihr Online-Shop die Anforderungen an die Barrierefreiheit aufgrund dieser gesetzlichen Ausnahme nicht erfüllt.
Zwingend erforderlich sind zudem:
- Ein Feedback-Mechanismus: Eine Möglichkeit für Nutzer, Ihnen Barrieren zu melden (z.B. eine E-Mail-Adresse oder ein Kontaktformular).
- Die Nennung der zuständigen Marktüberwachungsbehörde. Da diese gerade erst als gemeinsame Stelle der Länder errichtet wird, ist die korrekte Angabe (Stand Ende 2025) die Kontaktadresse der „MLBF (in Errichtung)“ in Magdeburg.
Wie und wo veröffentlichen?
Erstellen Sie eine neue, eigene Seite auf Ihrer Website mit dem Titel „Erklärung zur Barrierefreiheit“. Der Link zu dieser Seite muss leicht auffindbar sein, idealerweise im Footer Ihrer Website, direkt neben Impressum und Datenschutz.
Schritt 2: Die Kür – Ihr Weg zu neuen Kunden und besserem SEO
Nachdem Ihr „Abmahn-Schutzwall“ steht, können Sie sich aus einer Position der Sicherheit der eigentlichen Chance widmen. Echte Barrierefreiheit ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition mit dreifachem Gewinn:
- Mehr Kunden: Sie machen Ihre Angebote für Millionen von Menschen mit dauerhaften oder temporären Beeinträchtigungen zugänglich. Das ist ein riesiger, oft übersehener Markt.
- Bessere Nutzererfahrung für alle: Eine barrierefreie Website ist automatisch eine gut strukturierte, logisch aufgebaute und einfach zu bedienende Website. Davon profitieren alle Ihre Besucherinnen und Besucher.
- Stärkeres SEO: Suchmaschinen wie Google lieben barrierefreie Seiten. Klare Strukturen, Alternativtexte für Bilder und eine saubere technische Basis werden mit besseren Rankings belohnt.
Der pragmatische Fahrplan zur Kür:
Niemand erwartet, dass Sie Ihre Website von heute auf morgen komplett umbauen. Gehen Sie es iterativ an:
- Beginnen Sie mit den „Low-Hanging Fruits“: Fügen Sie bei allen neuen Bildern aussagekräftige Alternativtexte hinzu. Prüfen Sie mit einem Online-Tool, ob Ihre Schrift- und Hintergrundfarben genügend Kontrast haben.
- Machen Sie den Tastatur-Test: Versuchen Sie, durch Ihre komplette Website nur mit der Tab-Taste zu navigieren. Erreichen Sie alle Menüpunkte und Links?
- Schreiben Sie verständlich: Nutzen Sie klare Überschriften, kurze Sätze und vermeiden Sie unnötigen Fachjargon.
Fazit: Handeln Sie jetzt – strategisch und pragmatisch
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist kein Grund zur Panik, aber ein klarer Aufruf zum Handeln. Verfallen Sie nicht in die „Ausnahme-Falle“. Sichern Sie sich zuerst mit dem einfachsten und wichtigsten Schritt ab: Erstellen und veröffentlichen Sie Ihre „Erklärung zur Barrierefreiheit“.
Wenn dieser Schutzwall steht, betrachten Sie die eigentliche Barrierefreiheit als das, was sie ist: eine strategische Chance, Ihr Unternehmen professioneller, kundenfreundlicher und erfolgreicher zu machen. Es ist wie ein Fahrsicherheitstraining – es macht Sie zu einem besseren, souveräneren Teilnehmer am digitalen Markt.
Haben Sie sich schon mit dem BFSG beschäftigt? Welche Hürden sehen Sie für sich? Lassen Sie uns in den Kommentaren diskutieren!
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Benötigen Sie eine konkrete Vorlage für Ihre Erklärung zur Barrierefreiheit oder wünschen Sie sich eine persönliche Begleitung auf dem Weg zur Kür? Nehmen Sie gerne direkt Kontakt mit uns auf oder vereinbaren Sie einen unverbindlichen Termin.
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